Emanzipation an Bord
Frauen erobern die Pinne

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Nicht selten findet man in Seglerkreisen die Bemerkung, daß Frauen im Segelsport erst nach dem Zweiten Weltkrieg allmählich Eingang fanden, weil dieser Sport angeblich lange eine reine Männerangelegenheit war und Frauen auf Booten nur Unglück gebracht hätten. Dennoch fuhren Frauen am Bodensee schon vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur auf Segelbooten mit, sondern sie lassen sich sogar als Eignerinnen von Segel- und Motorsegelyachten nachweisen. Damit war der Bodensee fortschrittlicher als die meisten anderen Reviere.

Vor dem Ersten Weltkrieg segeln Frauen am See

Die Geschichte der Frauen im Segelsport begann am Bodensee bereits vor den ersten Vereinsgründungen. Spätestens seit den 1880er Jahren segelte die für ihre Zeit ungewöhnliche Konstanzerin Lilly Braumann-Honsell allein Jollen am Untersee. Sie ist die erste Frau, die sich als aktive Seglerin auf dem Bodensee nachweisen läßt.

Der als erster Segel-Club am Bodensee entstandene LSC (1889) erließ im Jahr seiner Gründung zunächst das - damals überall übliche - Verbot: "Damen sind vom Clubboote ausgeschlossen." Dies wurde jedoch kaum beachtet und 1897 wieder aufgehoben. Für die zahlreichen privaten Wasserfahrzeuge hatte es sowieso nie gegolten. Am Bodensee wurden somit Frauen früher in die Clubs hereingelassen als anderswo in Deutschland. Selbst im sonst so fortschrittlichen Berlin durften die ersten Frauen offiziell nicht vor 1898 an Bord von Clubsegelschiffen kommen.

Der Entscheid im LSC für die Frauen hatte Auswirkungen auf die später gegründeten Segel-Clubs am Bodensee. So hielt man im Bregenzer Segel-Club nach früher reinen Herrenabenden im Februar 1898 ein Tanzkränzchen ab, welches den ersten Zugang der Frauen zum Club belegt. Die Übergänge vom primär völligen Ausschluß bis zur letztendlichen Aufnahme als aktive Mitglieder waren bei Frauen fließend. Zuerst wurden sie als Zuschauerinnen an Land, dann auf dem Boot im Hafen und schließlich auf dem Segelboot in Fahrt geduldet. Offiziell wurden "Damenfahrten" oder "Damensegeln" im BSC mindestens seit 1905 veranstaltet. Normalerweise ließ man die Frauen zuerst aber nur zu besonderen Anlässen (wie dem Ansegeln an Pfingsten) und meist nur als Passagiere auf die Clubboote, da man das Bedienen der Segel und die rauhen Wetterbedingungen noch für unpassend hielt.

Der größte Durchbruch wurde unerwartet vom sehr elitären Königlich-Württembergischen Yacht-Club in Friedrichshafen herbeigeführt, der kurz nach seiner Gründung 1911 in der Presse offiziell verlauten ließ, was damals am Bodensee bereits inoffiziell die Regel war: "Auch Damen sind als Mitglieder willkommen. Sie zahlen die gleichen Beiträge wie die Herren."

Die Clubsatzung hielt 1911 Frauen als gesonderte Gruppe der "Damen-Mitglieder" fest. Allerdings waren sie nicht stimm- oder wahlberechtigt (wie im Alltag), genauso wie die außerordentlichen Mitglieder, bei denen es sich im KWYC vor dem Ersten Weltkrieg um Jugendliche beiderlei Geschlechtes unter 21 Jahren handelte. Frauen wurden folglich am Bodensee in den Segel-Clubs zuerst wie Minderjährige behandelt. Trotzdem war dies ein Fortschritt im Vergleich zu zahlreichen anderen Segel-Clubs, in denen Frauen nicht zugelassen waren.

Im YC Konstanz trat bereits 1911 ein Fräulein aus Donaueschingen als aktives Mitglied ein. Die Satzungsentwürfe 1912 für den Großherzoglich-Badischen Yacht-Club, den Zusammenschluß der Clubs in Konstanz, Überlingen, Radolfzell und Freiburg, sahen Bestimmungen über Damenmitglieder vor. In der endgültigen Satzung wurden die Damen nicht mehr als Sonderpunkt aufgeführt. Sie stellten für diesen Club Ende 1912 kein Problem mehr dar. Es ist auffällig, daß die Frauenproblematik in den Segel-Clubs am Bodensee danach in den schriftlichen Quellen kaum mehr eine Rolle spielte. Wenn sie überhaupt erwähnt wurde, dann meist im positiven Sinne, daß man Frauen gerne aufnehme.

Als Folge lassen sich im GBYC Anfang 1913 10 Frauen nachweisen. Allerdings wurden fünf davon als außerordentliche Mitglieder bezeichnet. Sie waren wahrscheinlich keine aktiven Seglerinnen, sondern Mitseglerinnen.

Selbstverständlich waren darüberhinaus die Ehefrauen der männlichen Mitglieder auch damals in das Clubleben integriert, jedoch selten eingetragene Mitglieder.

Die Frauen erobern die Pinne

Die Frauenemanzipation trat auch deshalb am Bodensee früh ein, weil die Segelboote in der Regel klein und bezahltes Personal selten waren. Dies führte automatisch dazu, daß die Frauen in den Familiencrews auf Privatsegelbooten wesentlich aktiver mithelfen mußten, als etwa auf großen Segelyachten an der Küste.

Ein wichtiges Indiz, das die Integration der Frauen in den aktiven Segelsport zeigt, war immer ihre Bekleidung. Die Frauen paßten ihre Kleidung vor dem Ersten Weltkrieg überwiegend nur farblich an (weiß und blau). Besonders der geforderte dicke und lange Rock, welcher bis zu den Füßen reichte, und die großen Strohhüte waren sehr hinderlich. Meist war es Frauen erst nach dem Ersten Weltkrieg möglich, Hosen zu tragen. Gummistiefel wurden jedoch bereits in der Kaiserzeit auch für sie vorgesehen, woraus man schließen kann, daß Frauen schon damals selbst bei schlechtem Wetter in das aktive Segeln eingeplant waren.

In Bregenz segelten Frauen so oft mit, daß man für sie 1907 eigene Wasch- und Umkleidegelegenheiten im neuen Clubhaus einrichtete. In Konstanz lassen sich kurz vor dem Ersten Weltkrieg Frauen sogar auf sportlichen kleinen Jollen als Mannschaft und 1913 bei einer Sturmfahrt nachweisen.

Obwohl es spätestens seit 1910 am Bodensee mindestens eine weibliche Segelyachteignerin gab, wollten die männlichen Segler bei Regatten elitär und unter sich bleiben: "Ruderführung nur von Herren, die Mitglieder eines anerkannten Segelklubs sind." Verantwortlich waren die Ausschreibungsregeln des konservativen DSV für offizielle Regatten.

Hingegen fand 1903 in Berlin eine clubinterne Regatta für Damen auf der Sonderklasse statt. Der Verein Seglerhaus am Wannsee führte diese damals empörende Wettfahrt trotz Protesten weiter jährlich fort, verschwieg sie aber zu Anfang in seinen Jahrbüchern. Als sich schließlich Prinzessin Eitel Friedrich im Herbst 1911 an jener Damenwettfahrt beteiligte, erregte dies kaum mehr Aufsehen, denn 1908 war Segeln als olympische Disziplin für Frauen zugelassen worden.

Obwohl die aktive Segelbeteiligung vor dem Ersten Weltkrieg nicht überschätzt werden darf, so war eine Yacht für Frauen etwas Besonderes.
Trotz absolut geschlossener Kleidung auch im Sommer sonnten sich manche Eignerinnen in für die damalige Zeit ungeziemender Haltung auf dem Vordeck liegend und hatten nichts dagegen, daß dieses Verhalten mittels Foto dokumentiert sowie an Ämter und sogar an den württembergischen König versandt wurde!
Damals ermöglichte eine Yacht auf dem Bodensee einen erweiterten Freiraum für Frauen.

Zwischen den Kriegen: Ein neues Familienbild

Durch die Kriegsarbeit der Frauen von 1914 bis 1918 hatte sich das Frauenbild auch im Sport verändert. Sie fanden nun größeren Zugang zum Segeln - kamen aber noch überwiegend aus wohlhabenden Familien. Sowohl Einkommen als auch Freizeit waren am Bodensee für die meisten Frauen zu gering.

Dennoch war man am Bodensee - mit einigen Berliner Segel-Clubs - der deutschen Entwicklung bezüglich der Emanzipation erheblich voraus. Insgesamt nahmen die Zahlen der Frauen direkt nach dem Ersten Weltkrieg in den Segel-Clubs am Bodensee deutlich zu. Nun stellten sie am deutschen Ufer meist 8-10 Prozent der Mitglieder. Der Durchschnitt für die Weimarer Republik lag 1930 bei unter 2 Prozent! Schlechter sah es am österreichischen Ufer aus, weil der BSC 1929 nur drei Frauen (6 Prozent) zählte. Besser war die Situation hingegen am schweizerischen Ufer, wo überhaupt die Frauen erstaunlich früh und umfassend in den Segelsport integriert wurden.

Auch in der Weimarer Republik waren die Zahlen der in den Segelverbänden registrierten Frauen niedriger, als die der tatsächlichen Seglerinnen. Vor allem am Bodensee läßt sich seit dem Ende des Ersten Weltkriegs ein dramatischer Anstieg der Tanzveranstaltungen in allen Segel-Clubs nachweisen. Das tatsächliche Zahlenverhältnis im Clubleben dürfte somit nahe 1:1 gelegen haben.
Vor allem die damals aufkommenden Plakate über den Partnersport Segeln, auf den deutlich zunehmenden sportlichen, kleinen Jollenklassen vermuten, daß diese Frauen - zumindest zeitweise - auch aktiv mitsegelten.

Hingegen schlossen sich die am Bodensee in der Zwischenkriegszeit neugegründeten deutschen und österreichischen Segel-Clubs meist strenger gegen Frauen ab als alle alten Vereine. Hauptgrund war ihre überwiegend kleinbürgerliche Mitgliederstruktur mit den konservativen Ansichten.

Segeln als Partnersport

Auch die Zahl der nicht in Segel-Clubs organisierten Seglerinnen nahm zu. 1931 fand sich eine segelbegeisterte Tochter in Meersburg, welche von ihrem Vater ein Segelboot als Geschenk erhielt, das sie oft selbst aktiv steuerte, allerdings nur bis 1932, weil sie dann eine Ausbildung in Karlsruhe absolvierte und 1937 heiratete. Dies zeigt eine bis heute nachweisbare Tendenz der Frauen im Segelsport: Sie ordnen ihre sportlichen Interessen viel eher der Ausbildung und Familie unter als die Männer.

Tatsächlichen Eingang in größeren Zahlen fanden die Frauen nach dem Ersten Weltkrieg nicht als Emanzen in den Segelsport, sondern als Freundin, Ehefrau und Mutter. Sie wurden von ihren Männer zu dem sich deutlich in Richtung Partner- und Familiensport entwickelnden Segeln mitgenommen. - Schon in den 20er Jahren unternahmen Segel-Clubs gemeinsame Clubausfahrten mit Frauen und Kindern, sogar kleine Mädchen durften mit. Letzteres fiel aus dem Rahmen der damals gültigen Erziehung. Bereits das 1924 vom LSC errichteten neue Clubhaus wies "große Schlafräume für beide Geschlechter" auf. Im selben Jahr deutete eine Überschrift in einem Clubjahrbuch an, daß Frauen bereits als Teil des Segelsports akzeptiert waren: "Vom Bodensee - von Seglern und Seglerinnen".

Führerscheine als Instrument der Emanzipation

Manche Seglerinnen legten alle Segelprüfungen bis hin zu den höchsten Clubbootführerscheinen ab, welche sogar viele Männer nicht besaßen. Da die lokalen Behörden Frauen im Wassersport früh wahrnahmen und ab 1915 für sie die Patentvergabe regelten, war es nur konsequent, daß einige Frauen sogar Motorboot-Schiffer- und Berufs-Patente ablegten. Die damals überaus liberalen Behörden am Bodensee ließen dies in der Zwischenkriegszeit zu, obwohl das Reichsverkehrsministerium die Ausgabe jeglicher Führerscheine zum Betrieb von Wasserfahrzeugen an Frauen strikt untersagt hatte. Vor allem über die ab den 30er Jahren vom DSV eingeführten Verbandsführerscheine suchten sich viele Frauen zu emanzipieren.

Der Erwerb eines Führerscheines stellt einen insgesamt anhaltenden Trend dar, der von Segelschulen am Bodensee bestätigt wird. Wie heute honorierten jedoch auch damals nur wenige Männer diese enormen Leistungen.

Obwohl die Nationalsozialisten verbal die Frauen aus dem Sport wieder in die Küche verdrängen wollten, verschlechterte sich beim Segeln am Bodensee ihre Situation kaum. Im BYC Überlingen wurde 1934 eine Frau sogar als Kassenwart in den Vorstand berufen. Besonders am Chiemsee bot die kommerzielle Yachtschule Prien ab 1934, mit Förderung der Partei, Segelkurse für Frauen an. 1937 durften Frauen dort erstmals als Hilfsausbilder tätig sein. Der DHH-Stützpunkt Neustadt bildete Frauen und Männer sogar gemeinsam aus.

Regattierende Frauen

Bereits 1919 setzten vor allem die süddeutschen Binnenvereine auf dem DSV-Seglertag durch, daß Damen sowohl Eignerin als auch Führerin einer Yacht, zumindest der Sonderklasse, sein durften, worauf jene Segelboote den Spitznamen "Amazonenklasse" erhielten.

Obwohl sich die Frauen damals überwiegend an den Einstellungen der Segler orientierten, hatte ihr Selbstbewußtsein im Segelsport deutlich zugenommen. Ein Indiz war die Teilnahme an Regatten, wobei Frau Dr. Ramsperger mindestens seit 1922 bereits auf den Bodensee-Wochen inoffiziell die Pinne führte, während ihr Mann die Vordecksarbeiten erledigte. Der mit dem Bodensee eng verbundene Zürcher Yacht-Club richtete auf dem Zürichsee seit 1928 jährlich die ersten reinen Damenregatten aus. 1929 wurde im sonst konservativen Norden der erste reine Mädchen-Segel-Club, die "Alsterratten" in Hamburg, gegründet. 1930 fand dort die erste Mädchenregatta in Deutschland statt, auf der nur Frauen die Pinne führten.

Eine ähnliche Zunahme der Segelaktivität zeigte sich am Bodensee. Während die Frauen vor dem Ersten Weltkrieg nur am geselligen Teil der Bodensee-Woche (wie Tanz, Tee, Festessen, Konzerten und Bällen) teilnehmen durften, gelangten sie in der Zwischenkriegszeit zunehmend auch offiziell als aktive Seglerinnen in diese angesehenste Regattaveranstaltung am See. 1939 segelte eine Frau aus Hemmenhofen sogar eine sportliche Olympiajolle auf der Bodensee-Woche. Aber erst 1940 wurde das Rennsegeln in Deutschland und Österreich generell auch für Frauen erlaubt. Der Dachverband vollzog somit im Krieg die Entwicklung nach.

Allerdings führte die rasant zunehmende Sportlichkeit der Frauen im Segeln der Zwischenkriegszeit zu einer sichtbaren Spaltung. Während noch vor dem Ersten Weltkrieg alle Frauen gerne auf Segelboote mitgenommen wurden, interessierten sich die Segler nun zunehmend nur noch für die "Sportsmädel". Den anderen Frauentyp - die "erstklassige Salondame", welche eher auf die "Insel=Hotelterasse in Konstanz" gepaßt hätte - wollte man nur noch ungern auf dem Segelboot dabeihaben. Die Sportlichkeit gewann Vorrang vor der früheren Gesellschaftlichkeit. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg zeigte sich somit, daß es eine generelle Emanzipation für alle Frauen im Segelsport nicht geben würde.

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