Technische Innovationen im Wassersport: Viele Wassersportler glauben, daß die meisten Entwicklungen im Bereich der Technik erst mit den Kunstoffen seit den 60er Jahren gemacht wurden. Zahlreiche Grundlagen lassen sich allerdings viel weiter zurückverfolgen.
Beim Bootsbaumaterial dominierte zwar bis Anfang der 60er Jahre Holz. Yachten wurden früher jedoch oft aus über einem Dutzend verschiedener Holzarten gebaut. Die Dominanz des Holzes im Yachtbau gegenüber Stahl im Großschiffsbau lag hauptsächlich daran, daß Hölzer verhältnismäßig leicht zu bearbeiten waren, so daß auch kleine Handwerksbetriebe - sogar am Bodensee - sich frühzeitig damit befassen konnten.
Dennoch waren bereits vor dem Ersten Weltkrieg sowohl Stahl als auch Aluminium bei einigen Segel- und Motoryachten als Rumpfmaterial verwendet worden. So baute man Boote seit den 1870er Jahren vereinzelt nach dem Francis System. Hierzu wurde der Rumpf aus kanneliertem und verzinktem Stahlblech gefertigt.
Bereits vor der Jahrhundertwende kannte man die Kompositbauweise, verstand darunter jedoch die Mischung von Holz mit diversen Metallen zur Aussteifung des Holzrumpfes. Auf den Yachten wurden zahlreiche Metalle, wie Eisen und Stahl verschiedener Qualität, Aluminium, Kupfer, Zink und verschiedene Bronzearten, besonders für Bänder, Beschläge, Kniee etc. und als Nieten, Bolzen, Nägel und Schrauben verwendet. Eisen und Blei kamen als Ballast in den Kiel, Zink wurde einzeln als Blech oder als Korrosionsschutz für Eisen verwendet. - Keineswegs handelte es sich somit damals um reine Holzboote.
Die ersten Sportsegelboote im deutschen Binnenland waren überwiegend Jollen. 1856 kam ein englisches Schwertboot nach Hamburg und fand dort eine so begeisterte Aufnahme, daß es sofort nachgebaut wurde. - Grundsätzlich bestimmte der Nachbau über Jahrzehnte die deutsche Anfangsentwicklung im Wassersport.
1864 wurde eine Jolle aus den USA nach Hamburg importiert, welche den Jollenbau in Deutschland revolutionierte. Die Laura war ein flacher, breiter, leichter und äußerst schneller Sandbagger (der Sandballast wurde während der Fahrt manuell verlagert). Bei einer nur geringen Länge in der Wasserlinie von 8,70 Meter besaß sie eine - auch für heutige Verhältnisse - enorme Breite von 3,30 Meter und eine für Jollen riesige Segelfläche von über 101 Quadratmeter. Die für Deutschland neue Cat-Takelung und das revolutionäre Patentreff wurden sofort kopiert.
Während am Meer bereits der Streit um die Vorzüge der Schoner gegenüber denjenigen der Kutter ausgetragen wurde und insgesamt zu immer größeren Yachten führte, verlief die frühe Entwicklung am Bodensee anders. Die wenigen Bootsbauer gingen hier im 19. Jahrhundert überwiegend von Rudergondeln aus und setzten einen Segelmast - teilweise mit Vorsegel - darauf.
Etwa 1865 läßt sich auf dem Untersee allerdings bereits ein aus Blech hergestelltes Tretboot mit zwei Rümpfen, das man auch segeln konnte, nachweisen. Es wäre zwar vermessen, dies als den ersten Katamaran des Bodensees zu bezeichnen. Dennoch zeigt jenes Sportfahrzeug das vorhandene Interesse einzelner Personen, welche bereits die unstetigen und schwachen Winde des Sees mittels Sonderkonstruktionen wie Doppelrümpfen und Tretvorrichtungen zu umgehen suchten.
Die damals noch wenigen ernsthaften Segler hatten an den Segelgondeln bald kein Interesse mehr und überließen jene Wasserfahrzeuge überwiegend den Touristen. Man besorgte sich seit den 1870er Jahren zunehmend schnellere und vor allem wendigere Schwertboote aus England und den damals im Jollenbau führenden USA. Diese offenen, breiten Schwertboote mit einem einzigen Großsegel, dessen Mast sehr weit vorne angebracht war, wurden von der hiesigen Bevölkerung "Klipper" genannt. Sie waren in den 1870er Jahren am Bodensee bei Privatpersonen aufgrund ihrer Schnelligkeit bei Flaute und der erstaunlichen Handlichkeit sehr beliebt.
Bereits im 19. Jahrhundert wurde bei Kielbooten der Lateralplan in mehreren Schritten drastisch beschnitten und führte zum geteilten Lateralplan mit schmaler Kielflosse und freistehendem Ruder. Ferner war der Bleiaußenballast bereits um die Jahrhundertwende Standard.
Nathaniel G. Herreshoff, der "Zauberer von Bristol", konstruierte und fertigte in den USA schon vor der Jahrhundertwende revolutionäre Wasserfahrzeuge, z. B. einen Wulstkieler und kurz darauf einen Flossenwulstkieler. So baute er 1896 für einen Wiener Segler die "Bubble", bei welcher der schwere Ballast an einer dünnen Flosse aus einer 9-Millimeter-Bronzeplatte hing. Hinzu kam ein freistehendes Balanceruder. Eine ganz ähnliche Yacht befand sich 1893 in Lindau!
Mit jenen modernen Booten wurde Ende des letzten Jahrhunderts der Löffelbug nach Europa exportiert. 1902 baute Engelbrecht aus Hamburg für den LSC eine Yacht mit Wulstkiel und Balanceruder, woraus sich schließen läßt, daß derartige High-Tech-Konstruktionen am Bodensee großes Interesse fanden.
Große Ballastmassen, die damals an einer unprofilierten Metallplatte hingen, konnten jedoch noch nicht langfristig zuverlässig am Holzrumpf befestigt werden, und die Balanceruder erwiesen sich am Meer als "Krautfänger".
Verdrängt wurden die meisten für die damalige Zeit revolutionären Neuerungen allerdings nicht aufgrund ihrer zugegebenermaßen noch sichtbaren technischen Unausgereiftheit, sondern überwiegend aufgrund der Bestimmungen der nationalen und internationalen Dachverbände - besonders den neuen Vermessungsformeln ab 1907. Der Wunsch nach Einheitlichkeit für vergleichbare Regatten, kombiniert mit ästhetischen Ansichten wie eine klassische Yacht auszusehen hatte, verdrängte viele Neuerungen schnell wieder.
Hinzu kam in Deutschland aufgrund einiger spektakulärer Unfälle eine Angst vor den unsicheren (Schwert-) Booten, die sich ebenfalls mit ästhetisch-gesellschaftlichen Motiven vermischte. So waren viele Segler im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg der tiefsten Überzeugung, daß kleine, nasse Jollen nicht zu einem Gentleman paßten. Im Höchstfall eigneten sie sich zur Grundausbildung. Diese Einstellung prägte für Jahrzehnte die Jugendausbildung.
Wie im Ausland, so experimentierten auch in Deutschland diverse Yachtkonstrukteure (z. B. der Marineingenieur Säfkow und später Max Oertz) an zahlreichen Details. Wurde früher eher nach Erfahrung und Augenmaß gebaut, so begann man langsam, Konstruktionsentwürfe zu entwickeln und nach Rennformeln zu optimieren. In den fortschrittlichen USA unternahmen bereits Ende des 19. Jahrhunderts Yachtkonstrukteure erste Schlepptankversuche mit ihren Modellen.
Manche damaligen Neuerungen im Segelsport waren aber tatsächlich zu revolutionär, als daß man sie erlauben konnte. Sie hätten schlagartig alle älteren, teuren Schiffe deklassiert und finanziell entwertet. Das in der Moderne nicht selten beklagte Symptom des teuren "Wettrüstens" mit jährlich neuen Yachten kannte man bereits damals. Es widersprach allerdings dem früher in diesem Punkt hohen Fairneßdenken der meisten Segler in den ausschlaggebenden Seglerverbänden.
Trotz aller Tüftelei vor dem Ersten Weltkrieg bleibt als wichtigster Unterschied zur späteren Zeit festzuhalten, daß das Segeln und auch die Konstruktion sowie der Bau von Yachten noch eine Kunst war, die von gottbegnadeten Künstlern ausgeübt wurde.
Das änderte sich in der Zwischenkriegszeit, als die Ingenieure mit diversen Mitteln jene Kunst systematisch erklärten und somit entzauberten.
In den 20er Jahren kamen nicht nur unzählige Jollentypen auf und verbreiteten sich zahlenmäßig rasch im Binnenland, auch Jollenkreuzer fanden großes Interesse und die Kielboote traten wieder in den Hintergrund.
In ständiger Detailarbeit wurden die Rumpfformen - vor allem der Bug- und Heckbereich - überarbeitet, und von Ingenieuren den auch laufend im Gewicht reduzierten Jollen systematisch immer längere Gleitphasen ankonstruiert.
Der Kielbootbereich wurde durch ein bereits vor dem Ersten Weltkrieg in den USA konstruiertes Boot dramatisch verändert. Der "Star" war als offenes, leichtes und für damalige Verhältnisse kleines sowie preiswertes Kielboot eine derartige Neuerung, daß sich in Deutschland viele Segler lange aus "ästhetischen Gründen" dagegen wandten. In ihren Augen durfte eine richtige Yacht nicht eckig sein, sondern hatte weiche, runde Linien aufzuweisen.
Aber die seit Ende der 20er Jahre zunehmend von den schnellen Jollen umsteigenden sportlichen und technisch orientierten Segler interessierten sich immer öfter für dieses dynamische Boot und machten es noch sportlicher. Mittels der auf Kielbooten erstmals systematisch angewandten Ausreittechnik (der "Star" hieß deshalb auch das "Rhönrad zur See" oder "Turngerät zur See") wurde das aufrechte Segeln als Ziel erstrebt. Die klassischen Kielboote erzielten zur selben Zeit noch als messerscharfe Lineale erst bei erheblicher Krängung ihre optimale Geschwindigkeit. Ferner wurde auf dem "Star" in den 30er Jahren das flexible Rigg konzipiert und eingeführt.
Während die Deutschen in den anderen Kielbootklassen nur geringe Erfolge aufweisen konnten, wurde ihr Können auf dem "Star" neidlos anerkannt. Es war somit kein Zufall, daß Walter von Hütschler auf diesem Boot mehrmaliger Weltmeister und Dr. Peter Bischoff 1936 Olympiasieger wurden.
Am schnellsten schritten die Entwicklungen allerdings im Bereich der Segel voran. Obwohl man bereits vor dem Ersten Weltkrieg für leichte Winde auf einigen kleineren Segelbooten mit Seidentüchern experimentierte, wurden nun - neben dem dominierenden Stoff Baumwolle - alle erdenklichen Materialien bis hin zu den ersten Kunstoffen (seit den 30er Jahren) ausgetestet! Selbst das alte Material Baumwolle wurde laufend dünner gewoben und dafür in Experimenten mit allen möglichen Tricks glatter und luftundurchlässiger gemacht.
Da man die Segel immer präziser in ihr aerodynamisch günstigstes Profil trimmen wollte, wurde das sich deutlich dehnende Baumwollmaterial mit oft zahlreichen und über die gesamte Segeltiefe reichenden Segellatten ausgestattet (z. B. auf der "J-Jolle"). Beim Segellattenmaterial sowie dessen Formung und Bearbeitungen wurde alles ausgetestet und fast das gesamte uns heute bekannte Wissen angewandt.
Zwar waren die meisten Segelschnitte bereits vor dem Ersten Weltkrieg bekannt. Nun experimentierte man jedoch mit allen möglichen Kombinationen und machte damit vor allem den Spinnaker zum High-Tech-Segel.
Obwohl es in der Zwischenkriegszeit zahlreiche technisch interessierte Segler gab, wurde Dr. Manfred Curry zum Segleridol jener Generation, weil er mit seinen Veröffentlichungen die größte Medienwirksamkeit erzielte.
Vieles, wie etwa die Profilähnlichkeit des Segels, war bereits vorher bekannt. Curry führte diese Forschung und vor allem die direkte praktische Umsetzung aber ins Extrem. Er stellte Segel in den Windkanal bei Junkers und unternahm Versuche mit brennenden Kerzen, Hühnerflaum, Mehl, Sägespänen etc., um Luft- und Wasserströmungen zu erkennen. In Rauchversuchen, die er mit Film- und Fotoreihen aufzeichnete, entzauberte er die Geheimnisse der Aerodynamik. Segeln wurde nun von der früheren Kunst der wenigen Gottbegnadeten zur allen erklärbaren Technik.
Nichts war den damaligen Ingenieuren mehr heilig: So verblüffte Curry die Öffentlichkeit z. B. 1930 mit aufsehenerregenden Versuchen. Er schnitt ein Loch in die Mitte eines Spinnakers, analysierte die Luftströmung mittels Rauch und wies nach, daß bei Vorwindkurs die Luft (zumindest bei geringem Lochdurchmesser) dennoch nicht durchströmt. Segeln wurde zur technischen Faszination.
Die Sluptakelung setzte sich durch, und die Zahl der mitgeführten Segel nahm ab. Die Reduktion auf nur ein Vorsegel wurde ab 1927 durch die Entwicklung der Genua ausgeglichen. Dieses große Vorsegel war angesichts der Teiltakelung, welche die frühere Toptakelung ersetzte, sogar leichter zu handhaben. Beim Rigg wurde aufgrund von Windkanalmessungen der Peitschenmast neben dem Bermudarigg in Deutschland in den 20er Jahren verbreitet.
Allerdings baute man daneben - sogar am Bodensee - Yachten mit Wishbone-Rigg. Erste erfolgreiche Experimente wurden mit Aluminium als Mastmaterial sowie mit drehbaren Masten für das Rollreff durchgeführt. Selbst für uns heute noch exotisch anmutende Experimente wurden mit dem Flettner-Rotor sowie dem Autogiro-Segel unternommen. Die Rollfock fand sich bereits auf einigen Segelbooten; Holepunkte wurden auf Schienen während der Fahrt einstellbar; Winschen mit Kurbeln und mehreren Gängen kamen auf. Bei den Beschlägen revolutionierte 1933 die noch heute benutzte Curry-Klemme das praktische Segeln, indem sie die Belegklampe weitgehend ersetzte.
Wie sehr sich die Riggs veränderten, wird am besten in einem Vergleich der Segelfläche aller DSV-Segelboote der Kaiser- und der Zwischenkriegszeit ersichtlich. Die durchschnittliche Segelfläche sank in Deutschland von 1914 mit ca. 78 Quadratmeter je Segelboot auf knapp 23 Quadratmeter 1928, reduzierte sich also auf etwa ein Drittel, und dennoch waren die ersegelten Geschwindigkeiten gestiegen. Hier zeigte sich der enorme technische Fortschritt am deutlichsten!
Die Ingenieure veränderten jedoch bereits in den 20er Jahren den Segelsport insgesamt. In übertriebener Technikeuphorie wurden selbst kleinste Jollen - zumindest kurzzeitig - mit einem Motor ausgerüstet. Geschwindigkeit entwickelte sich für viele zum Selbstzweck und bildete das Symptom einer sich verbreitenden Zeitnot.
Ferner veränderten die in alle Segelclubs hineindrängenden Ingenieure aufgrund ihrer einseitigen Technik- und nicht selten rücksichtslosen Siegorientierung die Regatten. Sie zerstörten damit die gemütliche Gesellschaftlichkeit der noch ganzheitlich orientierten älteren Seglerschicht. Bereits in den 20er Jahren schälte sich durch die enorme Technisierung die Aufspaltung der Seglergemeinschaft in ausschließliche Regattasegler und reine Fahrtensegler heraus.
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Segeln 21 - Dr. Schuhmacher